An eine noch rechtzeitig 2014 fertige Liste war diesmal leider nicht zu denken. Ich bin also spät dran, darum without further ado… die zehn besten Alben des Jahres nach Jan:
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10. Perfume Genius – Too Bright
2010 begann Mike Hadreas seine Karriere auf Learning mit zerbrechlichen semi-suizidalen Klavierstücken in halbnarkotischem Bewusstseinszustand. Der Zweitling Put Your Back N2 It liftete den Schleier etwas und stellte Hadreas einem größeren Publikum vor. Höchste Zeit also, sich mit dem dritten Album selbst zu dekonstruieren. Too Bright ist nicht gar so aussichtslos, wie es Learning war, sucht den Ausdruck seiner (unfreiwilligen) Orientierungslosigkeit aber umso mehr in unerwarteten Wendungen und Experimenten. A different kind of frustration.
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09. Ramona Lisa – Arcadia
Für ihr Solo-Projekt tauscht Chairlift-Sängerin Caroline Polachek ihren Namen gegen Ramona Lisa ein, und weist bereits auf den klangmalerischen Charakter von Arcadia hin. Komplett an ihrem Laptop entstanden, ist Arcadia eine Electropop-Platte mit Ambient-Charakter, die in ihren ruhigen Momenten wie ihren tanzbaren sinnlich bleibt und im Geist der Romantik lebt. Ach ja, und Dominic ist einer der besten Tracks der letzten Jahre.
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08. Spoon – They Want My Soul
Was im Opener noch stark nach Oasis (aus Texas?) klingt, wird schon im nächsten Track interessanter: Spoon finden einen Weg aus eindimensionaler Nostalgie in adäquat retrospektiven Gegenwarts-Pop. They Want My Soul ist eine Indie-Rock-Platte, deren lässige Attitüde immer wieder melancholisch unterwandert wird, ohne ihre lebhafte Spontanität zu verlieren.
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07. MØ – No Mythologies to Follow
Die Dänin MØ zeichnet auf ihrer Debüt-LP ein Bild junger Erwachsenenwelten, die so verwirrend sind wie düster, doch innerhalb derer eine Protagonistin steht, die den Kopf nach oben hält. Karen Marie Ørsted, so ihr eigentlicher Name, hat außerdem bei den jüngsten Entwicklungen im elektronischen Pop genauso gut aufgepasst wie bei den ersten beiden Lykke Li-LPs, und so wurde No Mythologies to Follow ein weiteres Highlight aus dem Norden.
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06. Angel Olsen – Burn Your Fire for No Witness
Das zweite Album von Angel Olsen ist ihr erstes mit voller Bandbegleitung und sie nutzt diesen Umstand nicht nur für einen fülligeren Sound sondern auch um den einer Sängerin von traurigen Songs mit Gitarre sonst so zugeschriebenen Referenzrahmen zu sprengen. Burn Your Fire for No Witness lebt, so ungeschliffen wie es seine Introspektive nach außen trägt, von der Indie-Rock-Attitüde der frühen Neunziger- oder des Anti-Folk der Nullerjahre. Doch auch damit bricht Olsen mit akribisch arrangierten Balladen im Geiste Roy Orbisons, und liefert mit White Fire nebenbei den besten Leonard Cohen-Song des Jahres ab.
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05. St. Vincent – St. Vincent
Nie war die Diskrepanz zwischen der Person Annie Clark und der Künstlerin St. Vincent größer. Auf ihrer vierten LP wird St. Vincent zur entmenschlichten Kunstfigur, was liegt da also näher, als ein selbstbetiteltes Album zu machen? Darauf geht es um Digitalisierung des Alltags und Kontrollverlust, manchmal in Kombination, manchmal für sich stehend. Die Gitarre zerschreddert die unter der Struktur liegende Schönheit wie gehabt, und doch liegt in dieser Brachialität der subtile emotionale Faktor, der St. Vincent erst greifbar macht.
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04. Ex Hex – Rips
Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass Wild Flag einer Sleater-Kinney-Reunion geopfert wurden. Doch Mary Timony fackelte nicht lange und gründete mit Laura Harris und Betsy Wright ihre nächste Band. Ex Hex sind eine Rock’n’Roll-Combo in bester Ramones-Tradition. Ihre erste LP Rips ist von Anfang bis Ende gefüllt mit großartigen Hooks und dreckigen Riffs über simpel gehaltenen, tight gespielten Arrangements, bei denen sich Power Pop, Punk und Garage Rock gegenseitig die Klinke in die Hand drücken, während Timony einmal mehr unter Beweis stellt, wie stilvoll Gitarren-Soli sein können. Rips indeed.
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03. Iceage – Plowing Into the Field of Love
Dänemark, die Zweite. Iceage haben eine Weile gebraucht, um ihren Sound zu finden, der gerne mal mit dem Label Post Punk bedacht wird, das nur im kulturhistorischen Kontext Sinn macht und irgendwie alles aber auch nichts aussagt. Diese Dialektik passt aber vielleicht wirklich ganz gut zu einem Album, das dann am besten ist, wenn raffiniert durchstrukturierte Arrangements heilloses Chaos produzieren. Während Elias Bender Rønnenfelt seine bemerkenswert eloquenten, nihilistischen Texte herunterleiert, als speise sich seine Langeweile durch die eigene Überlegenheit, produzieren Iceage eine Mauer aus Punk, Garage Rock, Country und so vielem mehr, dass nicht einmal eine plötzlich einsetzende Trompete mehr wie ein Fremdkörper wirkt. Furios und grandios.
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02. Marissa Nadler – July
In gebrochener Anmut schwebt Marissa Nadler auf ihrer bereits neunten LP – der ersten für Sacred Bones Records (beziehungsweise Bella Union in Europa) – July. Ihre schwermütigen Folk-Songs werden von einer Dream-Pop-Ästhetik romantisiert, die sich in erster Linie aus den mehrspurigen Vocals und den gelegentlich abschweifenden Gitarren / Streichern / Pianos im Hintergrund speist. Nadler singt von Verlusten und Umbrüchen, die sie ratlos machen: „Take a plane and I promise / to put honey in your jar / Maybe it’s the weather / but I’ve got nothing in my heart“. Traurig und traumhaft schön.
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01. Sia – 1000 Forms of Fear
Dem Überhit Chandelier war in den USA nicht zu entkommen, im Rest der Welt als Pop-Interessierter auch nicht. Chandelier thematisiert die Psychologie hinter einem ungesunden Verhältnis zum Exzess und verpackt diese Thematik in zeitgemäßer Chart-Produktion. Das dazugehörige Album 1000 Forms of Fear ist ein Porträt gebrochener Personen im Umfeld moderner Popkultur. Die Gratwanderung zwischen melancholischer Zurückhaltung und offensiver Umarmung des besungenen Leides wird durch die dichte Produktion gehalten. Sia Furler, deren teils durch psychische Probleme bedingte Aversion gegen Ruhm sie dazu brachte, ihr Gesicht nicht mehr zu zeigen und diesen Umstand als künstlerisches Statement in ihre Performances einzubinden, setzt ihre Stimme auch zum Storytelling ein. Die ist eigentlich untypisch für eine Popsängerin. Sie singt nasal und nuschelt, und doch nutzt sie die stimmlichen Kapazitäten einer Soul-Diva, und wenn die Stimme dabei bricht, ist das ein Stilmittel, dass die Thematik unterstreicht. Hier ist Pop zwar mitreißend, aber zerbrechlich und vom inneren Kampf gezeichnet.
Hit-taugliche Refrains schüttelt Furler, von SPIN passend als „Songwriter-Singer“ bezeichnet, aus dem Ärmel, als wäre es das einfachste der Welt. Mit 1000 Forms of Fear liefert sie ein Pop-Album ab, das sich an den gängigen Mustern kontemporärer Pop-Produktionen orientiert, die sie in einem solchen Umfang begriffen hat, dass es ihr ein Leichtes ist, sie zu unterwandern und mit ihnen zu brechen, ohne sie zu diskreditieren. So wird es zum Keyplayer einer Entwicklung, in der die Grenzen zwischen Artifizialität und Kredibilität immer mehr verschwimmen. 1000 Forms of Fear hat das Zeug zum Game Changer im Mainstream Pop, was ganz im Sinne der Künstlerin wäre. Im SPIN-Feature verkündet sie: „I’d like 2015 to look like it’s just been fucked“. Let’s bring it on.