Buddy Holly – Buddy Holly [1958]

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8,7/10Die Liste der von Buddy Holly entscheidend geprägten Künstler ist so lange wie die bekanntesten Namen darauf prominent: Die Beatles gaben sich ihren Namen in Anspielung auf Hollys Band The Crickets (und etwa 15 Jahre später kaufte Paul McCartney die Rechte am seinem kompletten Backing-Katalog), die Rolling Stones hatten ihren ersten Top-5-Hit mit einem Cover von Not Fade Away und Bob Dylan erinnerte sich 1998 in seiner Dankesrede für den Grammy für Time Out of Mind ehrfürchtig an den Moment, als ihm Holly auf einem seiner letzten Konzerte in die Augen sah.

Der heutige Mythos Buddy Holly wurde natürlich dadurch begünstigt, dass zu den vielen Dingen, die er als Popkünstler seiner Größe als erstes tat, auch das frühe Ableben gehörte. Als populärer Vertreter von Rock’n’Roll, Runde 1, wäre ihm ein Platz im Pop-Kanon ohnehin gesichert gewesen, doch gibt es stärkere Argumente, die für seine Unsterblichkeit sprechen als zur richtigen Zeit im richtigen Studio (dem von Norman Petty nämlich) gestanden und zur falschen Zeit im falschen Flugzeug gesessen zu haben. Zwölf davon finden sich auf seinem ersten (und einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten) Soloalbum.

Ein Jahr zuvor war die erste LP seiner Band, The Crickets, erschienen. Bei den Aufnahmen zu Buddy Holly war der kreative Prozess der gleiche, das Personal (inklusive der anderen Mitglieder der Crickets) eingeschlossen, weshalb es formell fraglich ist, die Solo-LP als Beginn eines neuen Projekts von der Crickets-LP abzugrenzen. Anders klingt sie dennoch. Gespart wurde etwa an den zu dieser Zeit oft überpräsenten Backing Vocals (Man höre sich nur durch die Alben, die Johnny Cash nach seinem Wechsel zu Columbia Records veröffentlichte), die auf The “Chirping“ Crickets noch zu den Standardcharakteristika einer Buddy Holly-Nummer gehörten. Bemerkenswert ist das vor allem deshalb, weil straighter Rock’n’Roll auf Buddy Holly in den Hintergrund gedrängt wurde. Zwei Drittel der LP zeigen Holly eher als Balladeer. Die Songs als pompöse Dramen zu inszenieren, wäre also die naheliegendere Variante gewesen.

Aber Buddy Holly war eben kein omnipotent wirkender, unantastbarer Crooner, noch war er ein unberechenbarer Rock’n’Roller. Er brach mit diesen beiden gängigeren Images von männlichen Musikern zu seiner Zeit und setzte stattdessen auf eines, das erst nach seinem Ableben mit der Zeit an Bedeutung gewinnen sollte, und zwar in den unterschiedlichsten Ausprägungen von David Bowie über Joey Ramone (dem Phil Spector einst sagte, wenn er mit ihm ein Solo-Album aufnehmen würde, würde er aus ihm den neuen Buddy Holly machen) bis zu Kurt Cobain oder Rivers Cuomo, dessen erster Hit dann auch passend Buddy Holly hieß. Die Rede ist vom Image des Außenseiters.

Das Bild, das auf Buddy Holly gezeichnet wird, hat diese Persona in den allermeisten Fällen zur Grundlage, variiert wird dabei die Haltung des Außenseiters, der mal in schier endlos wirkendem Kummer versinkt und mal seinem Status trotzt und trotz schlechter Karten voller Selbstvertrauen steckt. In Look at Me etwa macht er einem Mädchen den Hof, das als Herzensbrecherin bekannt ist. Dieser Ruf geht sogar so weit, dass ihr Verehrer davon ausgeht, bald würdem keine Herzen mehr übrig sein. Dann schließlich würde sie seine Liebe anerkennen und mit ihm glücklich werden. Überhaupt sind viele von Hollys Liebesliedern von einer Naivität gekennzeichnet, die mit einem unverbesserlichen Romantizismus in Verbindung gebracht wird. Dadurch bekommen selbst die selbstbewussten Nummern den tragischen Beigeschmack, dass ihre Liebesbekundungen trotz allem Optimismus zum Scheitern verurteilt sind, weil sie auf einem durch seine Naivität brüchigen Fundament stehen.

Auch im (1978 passend von Blondie auf Parallel Lines gecoverten) I’m Gonna Love You Too ist sich der Protagonist seiner Sache so sicher, dass er davon überzeugt ist, die Tatsache, dass er die Liebe des Mädchens erwidern würde, sei ausreichend, um sie in seine Arme zu manövrieren. Auffällig dabei ist der Futur in der titelgebenden Zeile, der sich als seiner Unsicherheit geschuldeter Schutzmechanismus interpretieren lässt: Da die Liebe noch keine erfüllte ist, gibt er vor, noch gar nicht verliebt zu sein, und dass das erst passieren würde, wenn seine Liebe erwidert (!) wird. Dabei gibt es genügend Anhaltspunkte dafür, dass er ihr längst verfallen ist. Doch diese Paradoxität ist dem Verliebten nicht geläufig, weil ihn die Liebe hier einmal mehr blind macht. Mit dem Außenseiter geht also ein unverbesserlicher Romantiker mit ein. In Listen to Me behauptet er gar, seine Liebe sei so groß, dass selbst die Sterne davon lernen konnten. Solch einen Gestus teilt Holly mit den großen Croonern, doch gibt er ihm ein viel brüchigeres Antlitz. Frank Sinatra hatte zwar auch zahlreiche melancholische Momente (versammelt etwa auf seiner 1955er LP In the Wee Small Hours), doch erweckt er dabei selten den Eindruck, sein Unglück sei das Produkt einer sich selbst klein machenden Eigenschaft wie der Schüchternheit.

Das wohl schönste Stück auf Buddy Holly jedoch ist Everyday, ein Track, der selbst für diese minimalistisch gehaltene LP spärlich instrumentiert ist (Als Percussion dienen die Knie von Produzent Norman Petty). Hier mangelt es dem Romantiker gänzlich am Selbstbewusstsein. Ihm wird dazu geraten, seine Love Interest einfach mal anzusprechen, doch das ist für ihn undenkbar. Lieber will er warten, denn „love like yours will surely come my way“. Und doch schwingt auch hier wieder der Optimismus mit: “Everyday it’s gettin’ closer”. Der Song funktioniert vor allem dadurch, dass er eine Vorfreude ausdrückt, der im gleichen Atemzug Steine in den Weg gelegt werden. „Shyness can stop you / from doing all the things in life you’d like to”, sang Morrissey drei Dekaden später, und die janglenden Gitarren in Words of Love oder Listen to Me tun ihr Übriges, um diese Assoziation zu forcieren.

Auch Valley of Tears passt gut zum Smiths’schen Pessimismus: „Spend the rest of my days, dear / without any cares / Everyone understands me / in the valley of tears”. Hier ist Holly völlig desillusioniert, in einem weiteren Stück verbietet er dem Postboten gar weitere Briefe zu bringen, weil sie ohnehin nur schlechte Neuigkeiten beinhalten: “Mailman, bring me no more blues”. Doch funktionieren auch diese großen Statements oft in Verbindung mit Understatements, gerne auch musikalisch. Beim großen Hit Peggy Sue wird das romantische Motiv so sogar gestärkt: Kein Instrument drängt sich nach vorne, selbst die Gitarre wird nur einem sehr kurzen Solo-Teil mal lauter, schließlich soll von der titelgebenden Herzensdame nicht abgelenkt werden.

Letzten Endes liefert uns Buddy Holly einen Künstler, der sich flexibel zwischen zwei Images bewegt, die mit unterschiedlichen Ergebnissen je nach Song gegeneinander ausgespielt werden oder sich ergänzen. Mal gibt er den Rock’n’Roller – stilistisch gestützt von den schlichten Arrangements, in die seine Songs gepackt werden –, mal ist er ein romantischer Crooner, wie es sein verträumter Blick auf dem Cover oder die wiederholten Anflüge von Pathos in den Songs nahelegen. Doch das entscheidende Puzzleteil ist das, das er über diese beiden Konzepten eines Popstars legt, um sie zu verändern: Der Außenseiter, der sich im unsicheren Rock’n‘Roller ebenso findet wie im melancholischen Crooner – das eigentliche Hauptprinzip hinter dem Phänomen Buddy Holly. Und so verliebt sich seine Rock’n’Roll-Persona schon mal in ein Mädchen, das vollkommen außerhalb seiner Subkultur steht: „You don’t like crazy music / You don’t like rockin‘ bands / […] / I wonder why I love you, baby / I guess it’s just because / You’re so square / Baby, I don’t care“. Es sollte nicht verwundern, dass Buddy Holly seine Liebe mit der Andersartigkeit seiner Geliebten begründet. Sie ist ja auch das, was an ihm so geliebt wurde.

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