Alle Jahre wieder entscheiden sich Bands, die eigentlich gitarrenlastige Musik machen, dafür, die Gitarren in den Hintergrund zu mischen, und stattdessen die Synthesizer aus dem Studio-Schrank zu holen, und ernten dafür die obligatorischen Vorwürfe der Anbiederung an den Mainstream, als hätte die Frage Gitarre oder Synthesizer auch nur irgendetwas mit kommerzieller Ausrichtung und kommerzielle Ausrichtung auch nur irgendetwas mit Qualität zu tun. Wenn dann noch ein namhafter Produzent an Bord ist, war’s das mit der Credibility. Dieses Jahr in dieser Kategorie: Das kanadische Geschwisterduo Tegan and Sara, die schon 1999 debütierten, aber erst Mitte der Nullerjahre einem größeren Publikum bekannt wurden. Ihre Kernqualität: der catchy-as-hell Popsong unter dem Arrangement, meist sorgenvoll, oft trotzdem irgendwie niedlich.
Diese Qualität bleibt auch auf ihrem siebten Album im Großen und Ganzen intakt. Thematisch geht es auf Heartthrob um das, wofür das Wort im ersten Teil seines Titels im Pop meistens zuständig ist. Doch sollte man nicht voreilig auf eine Teen-Pop-Platte schließen. Dafür gibt sich Heartthrob ungewöhnlich reif. Die Texte gehen die teenagernahen – aber eben nicht exklusiven – Themen Liebe, Identität und Intimität aus einer vernünftigereren, man möchte fast sagen „erwachsenen“ Perspektive an. In Goodbye, Goodbye verabschiedet sich die Protagonistin vom frisch gebackenen Ex-Partner lieber sofort, bevor sie irgendwelche Dummheiten macht. Die mit dem Pop einhergehende Idolisierung weist Sara Quin in I’m Not Your Hero direkt von sich. Selbst wenn in Closer über Sex gesungen wird, richtet sich der Fokus auf die Magie des Moments unmittelbar vor der intimen Vereinigung. Twen-Pop statt Teen-Pop.
Melodisch holen Tegan and Sara aus Heartthrob alles raus. Memorable Pop-Hooks schütteln sie sich für jeden Track aus den Ärmeln, in einigen sogar mehrere. Wer, abgesehen von der Instrumentierung, gravierende Unterschiede zum ebenfalls schon melodisch hochwertigen Vorgänger Sainthood finden will, muss bei den Arrangements suchen. Die bilden stärker als zuvor das Fundament für die Dramaturgie der Tracks, die sich konstant durch die Linien offensiv-dramatisch und reserviert-zurückgezogen schlängeln. Selbst balladeske Titel nähren sich von der Energie, die nicht zuletzt Greg Kurstins hervorragender Produktion zu verdanken ist. Wäre der für einen Sainthood-Track wie Hell noch bedenkenlos passende Begriff Power Pop nicht von einer Gitarren-Konnotation geprägt, könnte man ihn ohne Weiteres auch auf einige Heartthrob-Tracks anwenden. Radikale Veränderung bietet das Album nur an der Oberfläche.
Auf der deutschen Auflage von Sainthood prangte noch der stolze Aufkleber „Empfohlen von Intro“. Heartthrob wurde dort in der „Spalter“-Rubrik besprochen, also mit einer positiven Rezension und einer negativen. Während sich der Kontra-Text, wie viel zu viel Musikjournalismus dieser Zeit, in unorigineller Polemik übt, statt tatsächlich die Platte zu besprechen, ist die Pro-Besprechung einen zweiten Blick wert. Dort beobachtet Linus Volkmann völlig richtig: „Die Beats, die Synthie-Sounds, die Hooklines – all das schert sich einen Dreck um die klassische Coolness, die sich manisch vom Mainstream abgrenzen muss, um sich so ihrer selbst zu versichern.“ Nur um ein paar Zeilen später genau das selbst zu tun, indem er die Floskel vom „entseelten Kommerz-Pop“ bringt, von dem er Heartthrob abzugrenzen versucht. Es ist höchste Zeit, diesen Kategorien den Rücken zu kehren, und eine gute Pop-Platte eine gute Pop-Platte sein zu lassen.